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Unbestimmte vs. bestimmte Eigenschaften vor/nach Messung
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Maddin01
Gast





Beitrag Maddin01 Verfasst am: 13. Jun 2024 21:13    Titel: Unbestimmte vs. bestimmte Eigenschaften vor/nach Messung Antworten mit Zitat

Okay. Also gilt es auch für zb verschränkte Teilchen?

Und eine weitere Frage würde ich auch noch gerne loswerden: hier im Thema wurde mal angeschnitten, dass bei mikroskopischen Teilchen im allgemeinen vor einer Messung einige der physikalisch bekannten Eigenschaften unbestimmt seien (Drehimpuls, Ort usw.). Wie komme ich denn von diesen unbestimmten Eigenschaften, die vor einer Messung noch nicht vorliegen, zu bestimmten Eigenschaften makroskopischer Körper, die jederzeit, also auch vor einer Messung, vorliegen ? Für einen Fußball kann ich ja problemlos den Ort, Drehimpuls usw. zuordnen, auch wenn ich gerade nicht messe.
Maddin01
Gast





Beitrag Maddin01 Verfasst am: 14. Jun 2024 10:21    Titel: Antworten mit Zitat

Ah, hier ist die Frage gelandet, dachte schon, es sei im anderen Thema etwas schief gelaufen. Kann hierzu jemand etwas sagen?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18740

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Jun 2024 11:09    Titel: Antworten mit Zitat

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
... hier im Thema wurde mal angeschnitten, dass bei mikroskopischen Teilchen im allgemeinen vor einer Messung einige der physikalisch bekannten Eigenschaften unbestimmt seien (Drehimpuls, Ort usw.).

Um das zu konkretisieren:

Ein quantenmechanischer Zustandsvektor (bzw. in Spezialfällen die Wellenfunktion) ist die vollständige Beschreibung des tatsächlichen Zustandes. In diesem sind lediglich klassische Eigenschaften wie Ort und Impuls nicht präzise festgelegt (Stichworte: Unschärferelation, Bell-Theorem zu lokalen verborgenen Variablen). Zum Teil rührt unsere Irritation schlicht daher, dass wir aufgrund unserer an klassischen Vorgängen geschulten Anschauung etwas erwarten, was es so in der Natur wohl nicht gibt.

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Wie komme ich denn von diesen unbestimmten Eigenschaften, die vor einer Messung noch nicht vorliegen, zu bestimmten Eigenschaften makroskopischer Körper, die jederzeit, also auch vor einer Messung, vorliegen?

Zunächst zwei Feststellungen:

Erstens läuft deine Frage auf das sogenannte Messproblem der Quantenmechanik hinaus. Also letztlich: Wie gelangen wir von einer quantenmechanischen Beschreibung des Zustandes zu den tatsächlich auftretenden klassischen Ergebnissen einer Messung bzw. i.A. einer Beobachtung? Diese Fragestellung ist heute zumindest in Teilen ungelöst!

Zweitens kannst du schlichtweg nicht behaupten, dass derartige Eigenschaften makroskopischer Körper jederzeit und insbs. vor einer Messung vorliegen, da du vor bzw. ohne Messung nicht weißt, was da vorliegt. Was du lediglich weißt ist, dass die die Annahme des Vorliegens bestimmter Eigenschaften nicht im Widerspruch zur klassischen Mechanik steht. Da wir jedoch davon ausgehen, dass die klassische Mechanik bzw. allgemein die Dynamik makroskopischer Objekte als Grenzfall der Quantenmechanik resultiert, läufst du in das Problem, dass deine Annahme zu letzterer in Widerspruch steht.

Es geht also m.E. darum, das Messproblem der Quantenmechanik, einige Interpretationen der derselben, sowie Lösungsansätze zu verstehen.

Hast du dazu schon mal was gelesen?
Maddin01
Gast





Beitrag Maddin01 Verfasst am: 14. Jun 2024 11:56    Titel: Antworten mit Zitat

Also verstehe ich es richtig, dass ich ohne Messung nicht behaupten kann, dass ein makroskopischer Körper festgelegte Eigenschaften hat?
Auf der anderen Seite wurde auch noch nie beobachtet, dass sich die Eigenschaften eines Gegenstands einfach so plötzlich geändert hätten....Also das zb ein Körper plötzlich, ohne fremde Einwirkung, eine andere Masse, ein anderes Massenträgheitsmoment oder was auch immer bekommen hätte (oder sich an einem anderen Ort befinden würde). Das wäre ja schlichtweg der Alptraum für jeden Ingenieur....oder interpretiere ich gerade zu viel ?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18740

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Jun 2024 12:00    Titel: Antworten mit Zitat

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Also verstehe ich es richtig, dass ich ohne Messung nicht behaupten kann, dass ein makroskopischer Körper festgelegte Eigenschaften hat?

Du kannst es behaupten, es klingt selbstverständlich vernünftig, aber du kannst es nicht empirisch überprüfen. Wie stellst du fest, dass auch ohne Beobachtung eine gewisse Eigenschaft vorliegt, wenn du das Vorliegen oder nicht-Vorliegen einer Eigenschaft nur durch Beobachten überprüfen kannst?

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Auf der anderen Seite wurde auch noch nie beobachtet, dass sich die Eigenschaften eines Gegenstands einfach so plötzlich geändert hätten....Also das zb ein Körper plötzlich, ohne fremde Einwirkung, eine andere Masse, ein anderes Massenträgheitsmoment oder was auch immer bekommen hätte (oder sich an einem anderen Ort befinden würde).

Richtig. Trotzdem weißt du nicht, ob der Mond da ist, wenn du nicht hinschaust.

Es geht mir keineswegs darum, hier den Solipsismus zu predigen, lediglich darum, klarzustellen, dass der Anwendung unserer Alltagserfahrung bestimmte Annahmen zu Grunde liegen, die im Falle der Quantenmechanik auch völlig falsch sein können.

Wenn wir nicht einfach nur konstatieren wollen, dass sich klassische Objekte so verhalten, wie sich klassische Objekte eben verhalten, sondern wenn wir dies auf Basis der Quantenmechanik verstehen wollen, dann müssen wir uns auch an die Regeln der Quantenmechanik halten. Dazu gehört zunächst mal die triviale Feststellung, dass noch niemand ein quantenmechanisches Objekt direkt beobachtet hat – immer nur das Resultat der Wechselwirkung eines quantenmechanischen Objektes mit einem makroskopischen Messgerät. Aber auch Letzteres setzt sich aus Bestandteilen zusammen, die der Quantenmechanik gehorchen, insofern übertragen sich die Problemstellungen der Quantenmechanik auch auf makroskopische Messgeräte.

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377 Ohm



Anmeldungsdatum: 14.05.2024
Beiträge: 27

Beitrag 377 Ohm Verfasst am: 14. Jun 2024 15:21    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Trotzdem weißt du nicht, ob der Mond da ist, wenn du nicht hinschaust.

Na, na, na!

TomS hat Folgendes geschrieben:
Wenn wir nicht einfach nur konstatieren wollen, dass sich klassische Objekte so verhalten, wie sich klassische Objekte eben verhalten, sondern wenn wir dies auf Basis der Quantenmechanik verstehen wollen, dann müssen wir uns auch an die Regeln der Quantenmechanik halten.

Wenn man annimmt, dass wir die Quantenmechanik vollständig verstanden haben und wir klassische Objekte im Prinzip immer durch eine Wellenfunktion beschreiben müssen, dann ja. Aber schon das Beispiel von Schrödingers Katze zeigt doch die Absurdität dieser Idee auf. (Das hatte auch schon Arnold Neumaier betont, dass die Gültigkeit des Superpositionsprinzips stark eingeschränkt ist! Auf eine bestimmte Art von mikroskopischen Objekten, allerdings ohne klare Definition, wo die Grenze zwischen Mikro- und Makrokosmos zu ziehen ist.)

Das Hauptproblem scheint mir zu sein, dass wir uns auch den Mikrokosmos (die "Quantenwelt") als aus "Objekten" aufgebaut denken. Dabei sagt die Theorie zum Doppelspalt-Experiment überhaupt nichts darüber aus, durch welchen Spalt das Photon gegangen ist. Es ist nur wichtig, welchen Weg es genommen haben könnte, und das einzige was wir berechnen können, sind Wahrscheinlichkeiten, wie häufig ein Quantum Energie hf aus der Lichtquelle verschwindet und plötzlich auf dem Schirm deponiert wird. Es muss gar keinen bestimmten Weg genommen haben, und für mich ist es plausibler anzunehmen, dass es sich zwischen Emission und Absorption nirgends befindet, auch nicht "irgendwie" über den Raum (als "Quantenfeld") verteilt. Das sind klassische Konzepte, die wir in den Mikrokosmos hineininterpretieren.

Als Objekt schreiben wir dem Photon eine Polarisation zu. Objekte haben nun mal Eigenschaften. Aber die Bellsche Ungleichung zwingt diesen Eigenschaften eine mysteriöse Unschärfe auf, die instantan und scheinbar konspirativ durch Messung aufgehoben werden kann. In der klassischen Welt aufgewachsen, nehmen wir an, dass sich etwas von der "Quelle" zum "Detektor" bewegt haben muss. Wir nehmen an, dass Photonen Information mit sich tragen -- die sie aber miteinander (konspirativ) austauschen müssten. Diese "Verschränkung" scheint mir völlig widersinnig, und nur der Zwangsvorstellung geschuldet, das Experiment durch Teilchen "erklären" zu müssen. Dabei könnte man das Experiment ganz nüchtern beschreiben als Korrelationsexperiment: Stromfluktuationen in einem Atom der Quelle, gefolgt ein paar Nanosekunden später von entsprechenden kurzen Strompulsen in den Detektoren. Man kann sich natürlich eine Erklärung mit klassischen Bildern wünschen, aber es ist weniger verwirrend, wenn man sich mit der bloßen Beschreibung der Korrelationen zufrieden gibt.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18740

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Jun 2024 16:25    Titel: Antworten mit Zitat

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Aber schon das Beispiel von Schrödingers Katze zeigt doch die Absurdität dieser Idee auf. (Das hatte auch schon Arnold Neumaier betont, dass die Gültigkeit des Superpositionsprinzips stark eingeschränkt ist!

Die von mir genannten Punkte haben noch gar nichts mit dem Superpositionsprinzip zu tun sondern gelten allgemein.

Ob dessen Gültigkeit eingeschränktes ist, weiß niemand, auch Prof. Neumaier nicht. Es geht auch noch gar nicht um den Ansatz zu einer speziellen Lösung sondern um das grundsätzliche Verständnis des Problems. Lösungen – auch die TI – kommen später.

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Das Hauptproblem scheint mir zu sein, dass wir uns auch den Mikrokosmos (die "Quantenwelt") als aus "Objekten" aufgebaut denken. Dabei sagt die Theorie zum Doppelspalt-Experiment überhaupt nichts darüber aus, durch welchen Spalt das Photon gegangen ist. Es ist nur wichtig, welchen Weg es genommen haben könnte, und das einzige was wir berechnen können, sind Wahrscheinlichkeiten, wie häufig ein Quantum Energie hf aus der Lichtquelle verschwindet und plötzlich auf dem Schirm deponiert wird. Es muss gar keinen bestimmten Weg genommen haben, und für mich ist es plausibler anzunehmen, dass es sich zwischen Emission und Absorption nirgends befindet, auch nicht "irgendwie" über den Raum (als "Quantenfeld") verteilt. Das sind klassische Konzepte, die wir in den Mikrokosmos hineininterpretieren.

Dass es nirgends ist, halte ich nicht für plausibel. Aber den letzten Satz unterschreibe ich.

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Als Objekt schreiben wir dem Photon eine Polarisation zu. Objekte haben nun mal Eigenschaften. Aber die Bellsche Ungleichung zwingt diesen Eigenschaften eine mysteriöse Unschärfe auf …

Bitte nicht "Unschärfe". Der Begriff bezeichnet etwas völlig anderes.

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Diese "Verschränkung" scheint mir völlig widersinnig, und nur der Zwangsvorstellung geschuldet, das Experiment durch Teilchen "erklären" zu müssen.

Was hat die Verschränkung mit Teilchen zu tun?

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Man kann sich natürlich eine Erklärung mit klassischen Bildern wünschen, aber es ist weniger verwirrend, wenn man sich mit der bloßen Beschreibung der Korrelationen zufrieden gibt.

Es geht nicht um eine Erklärung mit klassischen Bildern, sondern um eine ganz allgemeine Erklärung.

Wenn man darauf verzichtet und sich mit der Beschreibung des Ergebnisses zufrieden gibt, dann ist das einfach eine instrumentalistische Haltung, die auf das Stellen von Fragen verzichtet und deswegen die fehlenden Antworten nicht vermisst. Aber ja, das ist natürlich eine konsistente Haltung.

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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18740

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Jun 2024 16:35    Titel: Antworten mit Zitat

Jetzt lassen wir doch mal den Maddin antworten.
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Maddin01
Gast





Beitrag Maddin01 Verfasst am: 14. Jun 2024 17:55    Titel: Antworten mit Zitat

Okay, das stimmt, natürlich weiß ich nicht, was passiert, wenn ich nicht messe.

Aber ich halte die Annahme, dass die klassischen Objekte die klassischen Eigenschaften haben, auch wenn ich nicht messe, für sehr sinnvoll.
Ich fände es doch sehr befremdlich, wenn diese erst bei jeder Messung neu festgelegt werden würden. Und wie schon erwähnt, ich wüsste nicht, dass schon mal jemand beobachtet hätte, dass sich ein makroskopischer Körper einfach so ändern könnte.
Wie schon davor geschrieben, jeder Ingenieur müsste dann auch schlaflose Nächte bekommen, denn wenn sich auf einmal die Eigenschaften eines Körpers ändern würden....

Oder interpretiere ich hier grundsätzlich etwas falsch?

Aber ich muss euch ansonsten doch recht gegeben: man die klassische Welt reduktionistisch mit der Quantenmechanik erklären will, dann sind die quantenmechanischen Regeln natürlich ausschlaggebend. Dennoch sollte auch dieser Prozess im Einklang mit den klassischen Beobachtungen sein.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18740

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Jun 2024 18:36    Titel: Antworten mit Zitat

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Okay, das stimmt, natürlich weiß ich nicht, was passiert, wenn ich nicht messe.

Ok.

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Aber ich halte die Annahme, dass die klassischen Objekte die klassischen Eigenschaften haben, auch wenn ich nicht messe, für sehr sinnvoll.
Ich fände es doch sehr befremdlich, wenn diese erst bei jeder Messung neu festgelegt werden würden. Und wie schon erwähnt, ich wüsste nicht, dass schon mal jemand beobachtet hätte, dass sich ein makroskopischer Körper einfach so ändern könnte.

Können wir uns trotzdem darauf konzentrieren, was bei dieser Sichtweise physikalisch problematisch ist, inwieweit wir das Entstehen klassischer Eigenschaften verstehen, und was noch problematisch ist?

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Aber ich muss euch ansonsten doch recht gegeben: man die klassische Welt reduktionistisch mit der Quantenmechanik erklären will, dann sind die quantenmechanischen Regeln natürlich ausschlaggebend. Dennoch sollte auch dieser Prozess im Einklang mit den klassischen Beobachtungen sein.

Das ist auch meine Meinung.

Aber die teilen nicht alle Physiker. Bohr war zum Beispiel der Ansicht, man können und müsse zwischen der klassischen und der quantenmechanischen Welt keinen Zusammenhang finden, wie erstere mittels letzterer erklärt werden kann. Seine Haltung ist auch heute noch sehr einflussreich, dahingehend dass viele Physiker damit zufrieden sind, dass experimentell überprüfbare Vorhersagen zutreffend berechnet werden können.

Aber lass uns sehen, wie weit wir hier kommen.

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377 Ohm



Anmeldungsdatum: 14.05.2024
Beiträge: 27

Beitrag 377 Ohm Verfasst am: 14. Jun 2024 18:51    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Als Objekt schreiben wir dem Photon eine Polarisation zu. Objekte haben nun mal Eigenschaften. Aber die Bellsche Ungleichung zwingt diesen Eigenschaften eine mysteriöse Unschärfe auf …

Bitte nicht "Unschärfe". Der Begriff bezeichnet etwas völlig anderes.

Tss,tss,tss ... Immer dieses Schubladendenken! Die Einzelphotonen in den Aspect et al Experimenten sind völlig unpolarisiert. Die reduzierte Dichtematrix ist 1/2 mal die Einheitsmatrix. Die Polarisation der Einzelphotonen hat weder eine Vorzugsrichtung noch einen bevorzugten Drehsinn. Die Polarisation ist maximal unscharf, man könnte natürlich auch sagen völlig undefiniert. Und ist es nicht widersprüchlich, von der "Messung" einer Eigenschaft zu reden, die die Photonen gar nicht haben?

Zitat:
Was hat die Verschränkung mit Teilchen zu tun?

Der Begriff Verschränkung drängt sich auf, wenn man (wie so viele!) von Photonen als Teilchen denkt. Wenn man nur an ein elektromagnetisches Feld denkt, ist es natürlich über die gesamte Raumzeit irgendwie korreliert.

Zitat:
Es geht nicht um eine Erklärung mit klassischen Bildern, sondern um eine ganz allgemeine Erklärung.

Es geht um eine konsistente, widerspruchsfreie Beschreibung. Ohne mysteriöse, undefinierte oder unscharfe Eigenschaften.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18740

Beitrag TomS Verfasst am: 14. Jun 2024 18:59    Titel: Antworten mit Zitat

Immer diese Häme.

In den Berechungen zur Verschränkung, kommt das, was man im engeren Sinne unter Unschärfe versteht, so nicht vor. Es bringt für einen Einsteiger nichts, alles zusammenzuwürfeln.

Ob sich dir der Begriff "Verschränkung" aufgrund eines Teilchengedankens aufdrängt, ist letztlich egal. Mathematisch hat er damit nichts zu tun.

Und es geht um nichts Mysteriöses.

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Anmeldungsdatum: 14.05.2024
Beiträge: 27

Beitrag 377 Ohm Verfasst am: 14. Jun 2024 19:21    Titel: Antworten mit Zitat

Alles klar! smile
Maddin01
Gast





Beitrag Maddin01 Verfasst am: 14. Jun 2024 19:45    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Können wir uns trotzdem darauf konzentrieren, was bei dieser Sichtweise physikalisch problematisch ist, inwieweit wir das Entstehen klassischer Eigenschaften verstehen, und was noch problematisch ist?


Ja, klar.
Aber was ist denn daran problematisch, wenn ich zb einem rotierendem Körper einen Drehimpuls zuschreibe, den er auch noch hat, wenn der Körper nach der Messung nicht verändert wurde (außer, dass er womöglich durch die Messung selbst eine kleine Änderung erfahren hat)?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18740

Beitrag TomS Verfasst am: 15. Jun 2024 00:31    Titel: Antworten mit Zitat

Das Problem ist ganz einfach, dass du einem Körper in der klassischen Mechanik immer exakt *) definierte Orte x,y,z sowie entsprechende Impulse px,py,pz zuordnen kannst, in der Quantenmechanik dagegen nicht. Genauso kannst du einem um die z-Achse rotierenden Körper immer einen exakten *) Lz-Drehimpuls zuordnen, und zugleich Lx = Ly = 0.

*) dabei geht es um die theoretische Zuschreibung, nicht um die Messung


In der Quantenmechanik verbietet das der mathematische Formalismus. Es ist unmöglich, zu sagen, Lz habe einen definierten Wert ungleich Null, und Lx, Ly seien gleich Null.

Nun ist es aber so, dass aus diesem Formalismus buchstäblich tausende von Messgrößen folgen – Spektren, Molekülstrukturen, Teilchenmassen … – so dass es nicht mal ansatzweise eine Option ist, diesen Formalismus für unzutreffend zu halten. Daher glaubt man dem Formalismus und verwirft die Idee, dass alle diese Eigenschaften wie in der klassischen Mechanik gleichzeitig vorliegen können.

Die Frage der Verschränkung ist nochmal etwas anders gelagert.

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Maddin01
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Beitrag Maddin01 Verfasst am: 15. Jun 2024 06:34    Titel: Antworten mit Zitat

Gut, das sehe ich ein. Aber gibt es nicht auch Größen, die jedes mal konstant sind? Teilchenmasse, Ladung usw?

Die Eigenschaften der klassischen Mechanik müssen aber doch auch irgendwie zustande kommen, es handelt sich hierbei doch nicht um pure Illusionen. Gibt es keine Näherungsverfahren oder ähnliches dafür, sodass man diese klassischen Eigenschaften erhält?
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 15. Jun 2024 07:13    Titel: Antworten mit Zitat

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Gut, das sehe ich ein. Aber gibt es nicht auch Größen, die jedes mal konstant sind? Teilchenmasse, Ladung usw?

Ja, aber die werden in der Quantenmechanik als feste Parameter behandelt.

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Die Eigenschaften der klassischen Mechanik müssen aber doch auch irgendwie zustande kommen, es handelt sich hierbei doch nicht um pure Illusionen. Gibt es keine Näherungsverfahren oder ähnliches dafür, sodass man diese klassischen Eigenschaften erhält?

Da kommen wir noch dazu.

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TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18740

Beitrag TomS Verfasst am: 15. Jun 2024 07:26    Titel: Antworten mit Zitat

Schauen wir uns das ganze mal anhand des Spins an.

An Mathematik benötigt man eigtl. nur lineare Algebra; Zustände werden als gewöhnliche Vektoren dargestellt, Operatoren als Matrizen; im Falle des Spins handelt es sich um spezielle Vektoren, man spricht von Spinoren.

Für ein Zustand chi liegt ein Gesamtspin s vor, wenn der Zustand ein Eigenzustand des entsprechende Operators ist. Hier:



Erlaubte Werte für s sind



S ist dabei eine (2s+1) dim. Diagonalmatrix mit den Diagonalelementen s(s+1). Dieser Wert s(s+1) ist tatsächlich immer scharf definiert.

Für die drei Komponenten bzgl. x,y,z existieren ebenfalls quadratische Matrizen.

Für ein Zustand chi liegt bzgl. z die Spinkomponente s_z vor, wenn der Zustand ein Eigenzustand des entsprechende Operators ist:



Erlaubte Werte für sind



(Ausnahme später)

Nun könnte man versuchen, einen Zustand zu finden, der ein gemeinsamer Eigenzustand zu allen drei Spinoperatoren ist. Klassisch würde man erwarten, dass z.B die z-Komponente einen von Null verschiedenen Wert liefert, die für x,y dagegen exakt Null.

Das ist algebraisch unmöglich, denn die Spin-Operatoren erfüllen eine Vertauschungsrelation



speziell



Damit wäre aber







Man erhält einen Widerspruch.

Damit folgt, dass die Annahme dreier exakt scharf definierter Werte falsch ist.

Und darauf folgt wiederum – Rechnung evtl. später – dass wenn die z-Komponente scharf und ungleich Null ist, x- und y-Komponente sicher unscharf sind.

Nehmen wir nun an, wir präparieren ein Quantensystem (ein Elektron) so, dass es bei z-Messung immer den Wert



liefert. Die erlaubten Messwerte für s_x sind dann wiederum die Eigenwerte des entsprechenden Operators, und diese sind wiederum



Der Zusammenhang zwischen Messwerten und Eigenwerten ist in der "orthodoxen" Quantenmechanik ein Postulat; man möchte jedoch den Grund dafür verstehen.

Algebraisch kann man zeigen, dass jeder Spin-Zustand geschrieben werden kann als Superposition



wobei s über den o.g. Bereich -s … +s läuft und a eine beliebige Achse bezeichnet.

Messungen der bzgl. einer beliebigen anderen Achse b definierten Spinkomponente an derart präparierten Systemen liefern immer exakt einen der erlaubten Werte im Bereich -s … +s; die Koeffizienten psi liefern die Wahrscheinlichkeiten, also letztlich Häufigkeiten.

Warum nun im Rahmen einer Messung genau dieser Wert, also z.B. +1/2 gemessen wird, und nicht -1/2, führt uns auf das Messproblem.

Damit verbunden ist ein weiteres Postulat im Rahmen der "orthodoxen" Quantenmechanik, nämlich dass nach der Messung auch der entsprechende Eigenzustand vorliegt, also hier



Die Begründung für das Postulat ist im Kern, dass wiederholte Messungen der selben Messgröße nun sicher immer den selben Messwert liefern müssen, die Messgröße damit keine Unschärfe mehr aufweist. Dieses Postulat ist ebenfalls unverstanden und erscheint in gewisser Weise sogar widersprüchlich (letzteres später).

Akzeptiert man diese (bzw. auch geeignet verbesserte) Postulate ohne weitere Begründung, einfach weil sie funktionieren, nimmt man eine instrumentalistische Haltung ein; der Formalismus liefert quantitativ zutreffende Vorhersagen, warum-Fragen und Begründungen sind ohne Belang. Dies fasst man gerne unter "shut up and calculate" zusammen.

Heute Abend mehr …

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Beitrag Maddin01 Verfasst am: 15. Jun 2024 09:01    Titel: Antworten mit Zitat

Gerne.

Vor allem interessiert mich, wie man von diesen Eigenschaften zu den klassischen kommt.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18740

Beitrag TomS Verfasst am: 16. Jun 2024 08:15    Titel: Antworten mit Zitat

Ok, lass' uns mal ein Beispiel diskutieren, was die Quantenmechanik leistet, und an welcher Stelle das o.g. Problem noch bestehen bleibt.

Zunächst noch ein Einschub: Die Dynamik eines quantenmechanischen Systems wird durch eine sogenannte Schrödingergleichung beschrieben. Aus dieser folgt die Zeitentwicklung des Zustandsvektors bzw. der Wellenfunktion.

Die Aufgabe besteht nun darin, für gewisse Klassen von Systemen (Protonen und Neutronen, Atome, Festkörper …) ein quantenmechanisches Modell zu entwickeln, also die Schrödingergleichung (oder äquivalente Gleichungen) zu formulieren und zu lösen, so dass man daraus gewisse Eigenschaften (Protonen und Neutronen: Massen, elektromagnetische Formfaktoren, Streuquerschnitte … Atome: Spektren; Festkörper: Farbe bzw. allgemein optische Eigenschaften, elektrische Leitfähigkeit … Supraleitung …) berechnen kann. Das funktioniert in weiten Bereichen hervorragend, in anderen ist es noch schwierig, geeignete Modelle oder genügend gute Näherungen zu finden (Hochtemperatur-Supraleitung). Dazu können wir uns ein Beispiel anschauen.

Es gibt jedoch ein zentrales Problem, des eng mit den o.g. Messproblem zusammenhängt bzw. das ein Teilaspekt des Messproblems ist: wie und warum erscheinen klassische Objekte eindeutig lokalisiert? Das ist zumindest in Teilen ungelöst.

Das Problem liegt letztlich darin, dass die Schrödingergleichung auf wellenartige und damit nicht eng lokalisierte Lösungen führt (aus der die o.g. Eigenschaften zutreffend berechnet werden können), während andererseits sehr gut lokalisierte Körper oder Ereignisse (Detektion eines Photons in einem Photodetektor, einer Photoplatte …) vorliegen.

Am Beispiel des Wasserstoffatoms – wobei dies für größere Systeme vom Prinzip her exakt genauso funktioniert, jedoch mathematisch extrem aufwändig wird: Aus der Energie für ein zunächst klassisch gedachtes System aus Elektron und Proton gewinnt man mittels Ersetzen der Orte und Impulse durch Operatoren den sogenannten Hamiltonoperator



und daraus die Schrödergleichung für die Wellenfunktion psi



Man führt nun noch eine Koordinatentransformation durch, so dass stattdessen der Schwerpunkt R, der Abstand r, der Gesamtimpuls P und der Relativimpuls p verwendet werden (vgl. klassischen Zweikörperproblem). Der transformierte Hamiltonoperator lautet



wobei M die Gesamtmasse und m die reduzierte Masse bezeichnen.

Speziell für den Fall scharf definierter Energie lautet der Lösungsansatz



Dabei folgt die Schwingungsfrequenz omega aus der Energie, die Konstante K aus dem ebenfalls scharfen Gesamtimpuls P, und die n,l,m entsprechen den Quantenzahlen der rein von der Relativkoordinate r abhängigen Wellenfunktionen psi des

https://en.wikipedia.org/wiki/Hydrogen_atom#Schr%C3%B6dinger_equation

In vielen Fällen wird nur dieses psi betrachtet.

Ich will jedoch auf das folgende hinaus:

1) Die Quantenmechanik liefert eine (eher unanschauliche) Lösung für die "Form" des Wasserstoffatoms, kodiert in psi, aus der viele Eigenschaften des Spektrums folgen (und die man durch Berücksichtigung relativistischer Effekte inkl. Spin noch verbessern kann). Die Antwort für die Eigenschaften makroskopischer Objekte folgt analog aus der Lösung (wesentlich komplizierterer) quantenmechanischer Vielteilchensysteme.
2) Die Quantenmechanik liefert keine Antwort für den Ort des Wasserstoffatoms als Ganzes, dieser ist "maximal unscharf", denn der zweite Faktor entspricht einer ebenen Welle. Diesen Aspekt des Problems ist man bis heute – auch für makroskopische Körper – nicht wirklich losgeworden. Wir können dazu gerne einige Ansätze bzw. sogenannte Interpretationen der Quantenmechanik diskutieren.

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Beitrag Maddin01 Verfasst am: 16. Jun 2024 09:40    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen Dank für die Erklärung!

Ich denke mal, mit mir ist es relativ sinnlos darüber zu diskutieren, da ich wenig sinnvolles im Bezug zur Quantenmechanik beitragen kann. Da muss ich mal ganz ehrlich sein.

Wo es mir hauptsächlich geht: manchmal gewinne ich (subjektiv) den Eindruck im Bezug auf die ganzen Diskussionen, die klassische Physik wird einem vor diesem Hintergrund als halbe Illusion verkauft. Aber genau diese Ansicht missfällt mir, da sie doch sehr wohl in ihrem abgespecktem Bereich gültig ist. Und das ist keine Illusion. Ich kann zweifelsfrei sehr viele Phänomene klassisch treffend beschreiben; mein nahezu ganzes Ing. Studium basierte auf diesen Theorien...
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 16. Jun 2024 10:32    Titel: Antworten mit Zitat

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Ich denke mal, mit mir ist es relativ sinnlos darüber zu diskutieren, da ich wenig sinnvolles im Bezug zur Quantenmechanik beitragen kann. Da muss ich mal ganz ehrlich sein.

Käse. Du stellst kritische Fragen. Das ist doch ein wertvoller Beitrag zur Diskussion!

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Wo es mir hauptsächlich geht: manchmal gewinne ich (subjektiv) den Eindruck im Bezug auf die ganzen Diskussionen, die klassische Physik wird einem vor diesem Hintergrund als halbe Illusion verkauft. Aber genau diese Ansicht missfällt mir, da sie doch sehr wohl in ihrem abgespecktem Bereich gültig ist. Und das ist keine Illusion. Ich kann zweifelsfrei sehr viele Phänomene klassisch treffend beschreiben; mein nahezu ganzes Ing. Studium basierte auf diesen Theorien...

Kannst du mal Zitate nennen, aus denen du diese Ansicht, die klassische Physik … sei eine halbe Illusion, ableitest?

Es gibt Physiker – wohl nicht die Mehrheit oder die Meinungsführerschaft – die die Ansicht vertreten, es sei Aufgabe der Physik, diesen noch nicht vollständig verstandenen Zusammenhang zwischen Mikro- und Makrokosmos vernünftig zu erklären; z.B. Einstein, Schrödinger … Bell … Penrose …

Einstein hat mangels diesbezüglicher Erklärungskraft die Quantenmechanik als unvollständig angesehen; heute bewertet Penrose das ähnlich und erwartet ein deutlich verändertes Bild bei korrekter Berücksichtigung der Gravitation (es gab und gibt noch viele mehr, aber die genannten sind nunmal sehr prominent).

Andere – wir hatten hier erst kürzlich eine sehr aufschlussreiche Diskussion mit Professor Neumaier – sehen das Problem eher darin, dass man zu stark vereinfachende Annahmen macht, und dass sich die genannten Probleme durch präzisere Modelle im Rahmen der etablierten Theorie eher konventionell lösen lassen; man könnte sie fast als Scheinprobleme bezeichnen, die durch unzulässige Annahmen entstehen, jedoch weder in der Natur noch in der Unvollständigkeit der Quantenmechanik begründet sind.

Auf dem Weg zu letzterem muss man mit einigen grundlegenden und fast hundert Jahre alten Missverständnissen aufräumen. Aber wenn du irgendwo ein prinzipiell nicht zu lösendes Mysterium siehst, hast du entweder etwas missverstanden, oder deine Quelle ist selbst mysteriös (was auch namhafte Physiker einschließt). Das bedeutet nicht, dass heute alles vernünftig gelöst wäre – es ist sicher noch ein weiter Weg – aber es bedeutet meiner Meinung nach, dass die Ansicht, es wäre prinzipiell nicht vernünftig lösbar, Käse ist.

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Beitrag Maddin01 Verfasst am: 16. Jun 2024 11:24    Titel: Antworten mit Zitat

Konkrete Zitate kann ich leider nicht nennen, ich habe hier nur einige Themen im Forum gelesen.

Der Punkt ist ganz einfach: wenn zb in der Quantenmechanik viele Größen mit einer Unschärfe belegt sind, und man den realistischen Anspruch erhebt, die makroskopische Welt kann größtenteils mit der mikroskopischen erklärt werden, dann frage ich mich natürlich schon, warum ich klassisch scharfe Werte und feste Lokalitäten erhalte (die ich auch ohne Messung problemlos annehmen kann).
Daraus gewann ich den Eindruck, dass womöglich viele klassische Größen und Phänome, vielleicht nur auf dem Gesetz der großen Zahlen beruhen (wenn man es als zusammengesetzes System realistisch betrachtet; je mehr Komponenten beteiligt sind, desto eher mittelt sich der scharfe Wert aus), und wenn es ungünstig kommt, es womöglich ganz anders aussehen könnte (zb meine Wasserflasche plötzlich delokalisiert und unauffindbar ist, was aber noch nie beobachtet wurde).
377 Ohm



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Beitrag 377 Ohm Verfasst am: 16. Jun 2024 11:32    Titel: Antworten mit Zitat

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Der Punkt ist ganz einfach: wenn zb in der Quantenmechanik viele Größen mit einer Unschärfe belegt sind, und man den realistischen Anspruch erhebt, die makroskopische Welt kann größtenteils mit der mikroskopischen erklärt werden, dann frage ich mich natürlich schon, warum ich klassisch scharfe Werte und feste Lokalitäten erhalte (die ich auch ohne Messung problemlos annehmen kann).
Daraus gewann ich den Eindruck, dass womöglich viele klassische Größen und Phänome, vielleicht nur auf dem Gesetz der großen Zahlen beruhen (wenn man es als zusammengesetzes System realistisch betrachtet; je mehr Komponenten beteiligt sind, desto eher mittelt sich der scharfe Wert aus) ...

Die thermale Interpretation geht in diese Richtung.
377 Ohm



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Beitrag 377 Ohm Verfasst am: 16. Jun 2024 12:32    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Kannst du mal Zitate nennen, aus denen du diese Ansicht, die klassische Physik … sei eine halbe Illusion, ableitest?

Zitat:
Es gibt jedoch ein zentrales Problem, des eng mit den o.g. Messproblem zusammenhängt bzw. das ein Teilaspekt des Messproblems ist: wie und warum erscheinen klassische Objekte eindeutig lokalisiert? Das ist zumindest in Teilen ungelöst.

Das ist nur ein Problem, wenn man die Quantentheorie nicht als mikroskopische Theorie ansieht und meint, auch makroskopische Objekte prinzipiell durch eine Wellenfunktion beschreiben zu müssen.

Zitat:
Auf dem Weg zu letzterem muss man mit einigen grundlegenden und fast hundert Jahre alten Missverständnissen aufräumen. Aber wenn du irgendwo ein prinzipiell nicht zu lösendes Mysterium siehst, hast du entweder etwas missverstanden, oder deine Quelle ist selbst mysteriös (was auch namhafte Physiker einschließt). Das bedeutet nicht, dass heute alles vernünftig gelöst wäre – es ist sicher noch ein weiter Weg – aber es bedeutet meiner Meinung nach, dass die Ansicht, es wäre prinzipiell nicht vernünftig lösbar, Käse ist.

Einverstanden! Zu den alten Missverständnissen zähle ich die alles überschattende Bedeutung der zeitabhängigen Wellenfunktion. (Bei den stationären Zuständen gibt es ja gar keine Kontroversen über deren Interpretation; für fast jeden Physiker beschreiben die Orbitale ein zeitliches Mittel.) Es ist zwar gelungen, Quantenmechanik und statistische Mechanik zu versöhnen, aber wie die Nahtstelle zwischen Quantenmechanik und klassischer Mechanik aussieht, ist auch nach hundert Jahren noch immer nicht klar. Und Bohr hat die Sache dadurch verschlimmert, dass er darauf bestand, dass die Quantentheorie nur mit klassischen Begriffen formuliert werden könne. Die Theorie hat dadurch "Transzendenz" erlangt, weil sie Begriffe erfordert, die uns klassischen Wesen prinzipiell verschlossen bleiben müssen.

Es gibt aber eine historische Parallele. Auch Maxwell's Elektrodynamik war jahrzehntelang eine paradoxe Theorie. Der Äther musste gleichzeitig fest (transversale Wellen) und flüssig sein (Wirbelfäden)! Viele Physiker versuchten, ein mechanisches Modell für den Äther zu konstruieren. Es dauerte vier Jahrzehnte bis der Widerspruch zwischen Maxwell's Theorie und der Newtonschen Mechanik freigelegt wurde. Der Äther erwies sich als überflüssig.

Was die Quantenmechanik angeht, halte ich die Lösung des "Messproblems" für vergebliche Liebesmüh - ähnlich der Suche nach einem mechanischen Äthermodell.
TomS
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Beitrag TomS Verfasst am: 16. Jun 2024 15:31    Titel: Antworten mit Zitat

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Der Punkt ist ganz einfach: wenn zb in der Quantenmechanik viele Größen mit einer Unschärfe belegt sind, und man den realistischen Anspruch erhebt, die makroskopische Welt kann größtenteils mit der mikroskopischen erklärt werden, dann frage ich mich natürlich schon, warum ich klassisch scharfe Werte und feste Lokalitäten erhalte (die ich auch ohne Messung problemlos annehmen kann).

1. Die Werte sind nicht exakt scharf, die Unschärfe ist nur auf makroskopischen Skalen extrem klein.
2. Feste Lokalität meint wohl nicht nur scharfe sondern auch eindeutige Lokalität.

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Daraus gewann ich den Eindruck, dass womöglich viele klassische Größen und Phänome, vielleicht nur auf dem Gesetz der großen Zahlen beruhen (wenn man es als zusammengesetzes System realistisch betrachtet; je mehr Komponenten beteiligt sind, desto eher mittelt sich der scharfe Wert aus) …

Das weiß man für einige Größen, für andere nicht.
Dass Materialeigenschaften wie Farbe, Leitfähigkeit, spezifische Wärmekapazität u.v.a.m. sehr geringe Unschärfen aufweisen, ist unstrittig.
1. Dass die möglichen Werte für Ort und Impuls des Schwerpunkts eines makroskopischen Körpers sehr scharf definiert sind, ist gut verstanden.
2. Dass von diesen möglichen Werten genau einer tatsächlich realisiert ist, dass der Ort also eindeutig ist, ist dagegen eine offene Frage.

1. Ein wesentlicher Fortschritt war hier die Theorie der Dekohärenz:
https://en.wikipedia.org/wiki/Quantum_decoherence
https://www.physikerboard.de/topic,69235,-faq---dekohaerenz.html

2. Dazu gibt es völlig unterschiedliche Ansätze; wünschenswert wäre sicher eine bodenständige Lösung, wie sie Prof. Neumaier mit der Thermal Interpretation vorschlägt; ob das gelingt, werden wir abwarten müssen.

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Beitrag TomS Verfasst am: 16. Jun 2024 17:10    Titel: Antworten mit Zitat

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
TomS hat Folgendes geschrieben:
Kannst du mal Zitate nennen, aus denen du diese Ansicht, die klassische Physik … sei eine halbe Illusion, ableitest?

Zitat:
Es gibt jedoch ein zentrales Problem, des eng mit den o.g. Messproblem zusammenhängt bzw. das ein Teilaspekt des Messproblems ist: wie und warum erscheinen klassische Objekte eindeutig lokalisiert? Das ist zumindest in Teilen ungelöst.

Das ist nur ein Problem, wenn man die Quantentheorie nicht als mikroskopische Theorie ansieht und meint, auch makroskopische Objekte prinzipiell durch eine Wellenfunktion beschreiben zu müssen.

Sagen wir so: das Messproblem ist nur dann ein Problem, wenn man sich eine Erklärung makroskopischer Phänomene auf Basis der Quantenmechanik wünscht. Das hatte ich oben schon geschrieben.

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Auf dem Weg zu letzterem muss man mit einigen grundlegenden und fast hundert Jahre alten Missverständnissen aufräumen. Aber wenn du irgendwo ein prinzipiell nicht zu lösendes Mysterium siehst, hast du entweder etwas missverstanden, oder deine Quelle ist selbst mysteriös (was auch namhafte Physiker einschließt). Das bedeutet nicht, dass heute alles vernünftig gelöst wäre – es ist sicher noch ein weiter Weg – aber es bedeutet meiner Meinung nach, dass die Ansicht, es wäre prinzipiell nicht vernünftig lösbar, Käse ist.

Einverstanden! Zu den alten Missverständnissen zähle ich die alles überschattende Bedeutung der zeitabhängigen Wellenfunktion. (Bei den stationären Zuständen gibt es ja gar keine Kontroversen über deren Interpretation; für fast jeden Physiker beschreiben die Orbitale ein zeitliches Mittel.) Es ist zwar gelungen, Quantenmechanik und statistische Mechanik zu versöhnen, aber wie die Nahtstelle zwischen Quantenmechanik und klassischer Mechanik aussieht, ist auch nach hundert Jahren noch immer nicht klar. Und Bohr hat die Sache dadurch verschlimmert, dass er darauf bestand, dass die Quantentheorie nur mit klassischen Begriffen formuliert werden könne. Die Theorie hat dadurch "Transzendenz" erlangt, weil sie Begriffe erfordert, die uns klassischen Wesen prinzipiell verschlossen bleiben müssen.

Vergessen wir Bohr. Er hat die Physik einerseits vorangebracht, andererseits auch massiv ausgebremst.

Vergessen wir Orbitale. Das ist nur ein aus der Wellenfunktion abgeleitetes Konstrukt.

Was genau ist deiner Meinung nach das Missverständnis bei der Zeitabhängigkeit?

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Was die Quantenmechanik angeht, halte ich die Lösung des "Messproblems" für vergebliche Liebesmüh - ähnlich der Suche nach einem mechanischen Äthermodell.

Inwiefern?

Gesucht ist die Erklärung makroskopischer Phänomene auf Basis der Quantenmechanik. Das gelingt in einigen Fällen, in anderen noch nicht. Ich sehe kein prinzipielles Problem, lediglich ein praktisches. Bohr et al. haben uns Jahrzehnte gekostet; evtl. war Everett der Wegbereiter einer Sackgasse.

Warum soll es denn keine erfolgversprechenden Ansätze geben?

Aber! Ein Punkt zur Zeitabhängigkeit und zur Gravitation: Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, Quantenmechanik und Gravitation getrennt zu betrachten und anschließend letztere zu quantisieren; das klingt nach einem ähnlichen Fehler wie die Quantisierung der Navier-Stokes-Gleichungen. M.E. sind beide enger verwandt als wir heute verstehen. Andererseits: Führt man die kanonische Quantisierung der Gravitation gekoppelt an weitere Felder durch, so erhält man eine "zeitlose Theorie"; der Hamiltonian ist eine Constraint H ~ 0 und generiert keine Dynamik. Extrahiert man in einfachen Modellen eine "emergente -Zeit-Variable" und eine diesbzgl. Entwicklung, so folgt diese nicht der Schrödingergleichung. Insofern könnte da schon der Hase im Pfeffer liegen, dass nicht nur die Quantisierung der Gravitation ein Irrweg ist, sondern auch die Annahme einer universell gültigen unitären Zeitentwicklung.

Jetzt hängen wir Maddin aber ab. Evtl. sollten wir doch besser noch einige Ansätze ausloten, insbs. die Dekohärenz und die Thermal Interpretation.

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Beitrag 377 Ohm Verfasst am: 16. Jun 2024 18:48    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Was genau ist deiner Meinung nach das Missverständnis bei der Zeitabhängigkeit?

Im Heisenberg-Bild haben die Zustandsvektoren gar keine Zeitabhängigkeit, und es wird direkt die Häufigkeit / Wahrscheinlichkeit eines Vorgangs betrachtet, indem ein bra mit einem ket multipliziert wird. "State preparation" und "measurement" zusammen dauern eine gewisse Zeit, und die Theorie gibt Aussagen über die genaue Entwicklung zu jedem Zeitpunkt gar nicht her. Die Idee, dass ein System zu jedem Zeitpunkt eine Wellenfunktion haben muss, die sich gesetzmäßig ändert, wurzelt in einem Newtonischen Weltbild. Eine stochastische Interpretation halte ich für viel natürlicher.

Zitat:
Gesucht ist die Erklärung makroskopischer Phänomene auf Basis der Quantenmechanik. Das gelingt in einigen Fällen, in anderen noch nicht. Ich sehe kein prinzipielles Problem, lediglich ein praktisches.

Ich sehe weder ein prinzipielles noch ein praktisches Problem. Die Theorie ist doch phantastisch erfolgreich! Die Fälle, in denen die Theorie nicht erfolgreich ist, beruhen meiner Meinung nach auf der Überinterpretation der zeitabhängigen Wellenfunktion. Eine stochastische Theorie liefert immer eindeutige Ergebnisse. Manchem mag es nicht gefallen, das einfach zu postulieren. Aber es aus der unitären Entwicklung herleiten zu wollen, halte ich für vergebliche Liebesmüh.

Zitat:
Insofern könnte da schon der Hase im Pfeffer liegen, dass nicht nur die Quantisierung der Gravitation ein Irrweg ist, sondern auch die Annahme einer universell gültigen unitären Zeitentwicklung.

Gratuliere! Der Satz könnte von mir stammen. smile

Zitat:
Jetzt hängen wir Maddin aber ab.

Ich hoffe, er findet es interessant und vielleicht sogar plausibel.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 16. Jun 2024 19:31    Titel: Antworten mit Zitat

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Eine stochastische Interpretation halte ich für viel natürlicher.

Das darfst du natürlich tun, nur dann ist die ganze Diskussion zur Erklärung makroskopischer Eigenschaften und Vorgänge auf Basis quantenmechanischer Modelle für Einzelsysteme sinnlos.
377 Ohm



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Beitrag 377 Ohm Verfasst am: 16. Jun 2024 20:07    Titel: Antworten mit Zitat

Oh! Warum? Ich habe mich mit Quantenstatistik und quantenfeldtheoretischen Methoden in der Festkörperphysik beschäftigt. Ich hatte nie das Gefühl, dass das sinnlos wäre.

Das eigentliche Problem, aus meiner Sicht, liegt in der Ontologie. Was ist es eigentlich, was die Quantentheorie beschreibt? Sind es Wellenfunktionen? Oder Dichtematrizen? Das klingt etwa so wie: die klassische Mechanik handelt von Differentialgleichungen. Nicht ohne Grund wollte John Bell in seinem Aufsatz "Against Measurement" auch den Gebrauch des Worts "System" verbieten. Ich würde Eigenschaften nicht irgendwelchen Teilchen oder Feldern zuordnen, sondern sehe das eher als etwas, was wir in bestimmte mikroskopische Prozesse, Ketten von Ereignissen, hineinlesen.
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 16. Jun 2024 21:09    Titel: Antworten mit Zitat

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Oh! Warum? Ich habe mich mit Quantenstatistik und quantenfeldtheoretischen Methoden in der Festkörperphysik beschäftigt. Ich hatte nie das Gefühl, dass das sinnlos wäre..

Da hast du mich falsch verstanden.

Ich sagte lediglich, die Diskussion derartiger Fragen für Einzelsysteme ist sinnlos, wenn du die Quantenmechanik rein statistisch betrachtest (Neumaier unterscheidet dabei auch genau zwischen verschiedenen Arten von Messungen).

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Das eigentliche Problem, aus meiner Sicht, liegt in der Ontologie. Was ist es eigentlich, was die Quantentheorie beschreibt? Sind es Wellenfunktionen? Oder Dichtematrizen?

Die Frage ist doch nicht, ob die Quantentheorie Wellenfunktionen oder Dichtematrizen verwendet, sondern was durch die Wellenfunktion oder die Dichtematrix beschrieben wird – ein Einzelsystem? ein Ensemble?

377 Ohm hat Folgendes geschrieben:
Ich würde Eigenschaften nicht irgendwelchen Teilchen oder Feldern zuordnen, sondern sehe das eher als etwas, was wir in bestimmte mikroskopische Prozesse, Ketten von Ereignissen, hineinlesen.

Von welcher Art von Eigenschaften sprichst du?

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Maddin01
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Beitrag Maddin01 Verfasst am: 16. Jun 2024 22:57    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Der Punkt ist ganz einfach: wenn zb in der Quantenmechanik viele Größen mit einer Unschärfe belegt sind, und man den realistischen Anspruch erhebt, die makroskopische Welt kann größtenteils mit der mikroskopischen erklärt werden, dann frage ich mich natürlich schon, warum ich klassisch scharfe Werte und feste Lokalitäten erhalte (die ich auch ohne Messung problemlos annehmen kann).

1. Die Werte sind nicht exakt scharf, die Unschärfe ist nur auf makroskopischen Skalen extrem klein.
2. Feste Lokalität meint wohl nicht nur scharfe sondern auch eindeutige Lokalität.

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Daraus gewann ich den Eindruck, dass womöglich viele klassische Größen und Phänome, vielleicht nur auf dem Gesetz der großen Zahlen beruhen (wenn man es als zusammengesetzes System realistisch betrachtet; je mehr Komponenten beteiligt sind, desto eher mittelt sich der scharfe Wert aus) …

Das weiß man für einige Größen, für andere nicht.
Dass Materialeigenschaften wie Farbe, Leitfähigkeit, spezifische Wärmekapazität u.v.a.m. sehr geringe Unschärfen aufweisen, ist unstrittig.
1. Dass die möglichen Werte für Ort und Impuls des Schwerpunkts eines makroskopischen Körpers sehr scharf definiert sind, ist gut verstanden.
2. Dass von diesen möglichen Werten genau einer tatsächlich realisiert ist, dass der Ort also eindeutig ist, ist dagegen eine offene Frage.


Das klingt ja eigentlich schon mal alles recht spannend. Kann ich also davon ausgehen, dass zb die Unschärfe eines makroskopischen Körpers für den Ort im Bereich der Messtoleranz liegt, also hinreichend klein ist?
Oder wäre es tatsächlich möglich, dass zb der Ort solch eine große Unschärfe besitzt, sodass ein eben noch beobachteter Körper sich nun woanders befindet?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 17. Jun 2024 08:46    Titel: Antworten mit Zitat

Maddin01 hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
1. Dass die möglichen Werte für Ort und Impuls des Schwerpunkts eines makroskopischen Körpers sehr scharf definiert sind, ist gut verstanden.
2. Dass von diesen möglichen Werten genau einer tatsächlich realisiert ist, dass der Ort also eindeutig ist, ist dagegen eine offene Frage.

Das klingt ja eigentlich schon mal alles recht spannend. Kann ich also davon ausgehen, dass zb die Unschärfe eines makroskopischen Körpers für den Ort im Bereich der Messtoleranz liegt, also hinreichend klein ist?
Oder wäre es tatsächlich möglich, dass zb der Ort solch eine große Unschärfe besitzt, sodass ein eben noch beobachteter Körper sich nun woanders befindet?

Wie gesagt, wir müssen zwischen 1. und 2. unterscheiden.


1. Dass der Ort (und die Form) eines mikroskopischen Körpers sehr scharf definiert sind und auch bleiben, ist ziemlich gut verstanden. Dies ist im wesentlichen eine Konsequenz der Dekohärenz, wobei die kontinuierliche Wechselwirkung zwischen dem Körper sowie unbeobachtbaren Umgebungsfreiheitsgraden – Gasmoleküle, thermische Photonen, beide auch im Hochvakuum – für diese ständige Lokalisierung sorgen. Außerdem spielt natürlich die Bindung mikroskopischer Freiheitsgrade zu einen makroskopischen Körper eine Rolle, d.h. es ist energetisch günstiger, dass z.B. Atome gebunden bleiben und nicht spontan verdampfen.


2. Das bis heute nicht vollständig gelöste Messproblem der Quantenmechanik besteht in folgendem: Betrachten wir ein Messgerät, dass ein Photon detektiert, das sich in einem Superpositionszustand aus rechts- und linkszirkular polarisiert befindet. Gemessen wird die Polarisation, d.h. rechts- bzw. linkszirkular polarisiert. In Abhängigkeit vom detektierten Zustand wird eine makroskopische Aktion auslöst, zum Beispiel lässt das Gerät eine Kugel entsprechend nach rechts bzw. nach links rollen. Gemäß der verbreiteten Ansicht zur Quantenmechanik überträgt sich die Superposition der Polarisation des Photons – womit niemand ein Problem hat – auf eine makroskopische Superposition zweier Zustände der Kugel, d.h. diese befindet sich sowohl rechts als auch links, nicht jedoch entweder rechts oder links. Beide Positionen sind dabei scharf definiert, dafür sorgt wieder die Dekohärenz. Damit haben wir nun ein massives Problem, denn etwas derartiges beobachten wir nicht.

Dazu gibt es nun eine Vielzahl von Lösungsansätzen. Hier einige wesentliche:


Gemäß einer stochastische Interpretation beschreibt die Quantenmechanik nicht das, was in einem einzelnen System tatsächlich geschieht, sie beschreibt lediglich die Wahrscheinlichkeiten für Ereignisse in einem realen oder gedachten Ensemble sehr vieler identisch präparierter Systeme. In diesem Sinne sind die Vorhersagen der Quantenmechanik korrekt, jedenfalls ist kein einziges Gegenbeispiel bekannt. Anhänger dieser Denkrichtung bestreiten insbesondere, dass es sinnvoll ist, vom Verhalten eines Systems zu sprechen, insofern man es nicht beobachtet bzw. misst. Gemäß dieser dem logischen Positivismus nahestehenden Interpretation ist das Messproblem, ein Scheinproblem, das sich in Luft auflöst, sobald wir akzeptieren, dass die Quantenmechanik lediglich ein Instrument zur Berechnung von möglichen Messergebnissen und deren Wahrscheinlichkeiten darstellt, keine treue Beschreibung einer tatsächlichen objektiven Realität unabhängig von Beobachtungen. Diese Auffassung ist – oft unausgesprochen – auch heute noch der Minimalkonsens in der Lehre, insbs. wenn es um die praktische Anwendung der Quantenmechanik geht.

Dieser Ansatz wurde jedoch bereits in den Anfangsjahren kritisiert, da viele Physiker – damals zuforderst Einstein – die Auffassung vertraten und bis heute vertreten, dass die Physik und damit die Quantenmechanik leine Beschreibung der tatsächlich stattfindenden Vorgänge in einer von uns und unseren Beobachtungen unabhängigen, d.h. objektiven Realität liefern soll.

Eine heute maßgebliche Interpretation der Quantenmechanik – jedoch mit durchaus bizarren Konsequenzen – stellt die so genannte Viele-Welten-Interpretation nach Everett dar, die insbs. aufgrund der oben genannten Dekohärenz zumindest mathematisch plausibel erscheint. Aus dieser folgt nämlich, dass die beiden Komponenten der Wellenfunktion für die nach rechts sowie die nach links rollende Kugel einschließlich eines Beobachters, der einmal die nach rechts und ein anderes Mal die nach links rollende Kugel beobachtet, nicht mehr miteinander interferieren, jeweils für sich stabil sind (siehe oben 1.), sowie wechselweise unbeobachtbar sind. D.h. die bizarr erscheinende Annahme, dass beides gleichermaßen real ist, führt nicht zu einem Widerspruch mit der Beobachtung. Der Begriff "viele Welten" ist dabei unglücklich gewählt, da hier keineswegs aus dem Nichts neue Welten entstehen, sondern sich innerhalb der einen Welt sozusagen Strukturen auffächern, die sich wechselweise der Beobachtung entziehen. Man akzeptiert sozusagen eine theoretische Vorhersage als makroskopisch real, womit man in einer mikroskopischen Realität ohnehin kein Problem hat.

Eine recht neuer, hochinteressanter jedoch noch wenig bekannter Ansatz ist die Thermal Interpretation von Prof. Neumaier, die wir hier kürzlich mit ihm diskutieren durften. Im Kern vertritt er die Ansicht, dass es sich bei der verbreiteten Ansicht, die Superposition der Polarisation des Photons übertrage sich auf eine makroskopische Superposition der Kugel und des Beobachters, um einen Trugschluss handelt. Das verbreitete Missverständnis besteht ihmzufolge darin, dass man fälschlicherweise für das System "Photon + Messgerät + Kugel + Beobachter + Umgebung" von einer linearen Zeitentwicklung gemäß der Schrödingergleichung ausgeht, die aufgrund dieser Linearität derartige Superpositionen liefert. Die Schrödingergleichung gilt jedoch ausschließlich für abgeschlossene Systeme, für nicht isolierte, reale Systeme muss sie durch nicht-lineare, stochastische Gleichungen ersetzt werden. Das stochastische Element stellt dabei kein objektives Element der Natur dar sondern ist lediglich unserem Nichtwissen über den vollständigen mikroskopischen Zustand von Messgerät etc. geschuldet; hätten wir darüber vollständige Kenntnis, so wäre der Ausgang der Messung in jedem Einzelfall exakt berechenbar; der Zufall kommt also ähnlich ins Spiel wie im Falle des deterministischen Chaos in der klassischen Mechanik. Die Nicht-Linearität der Gleichungen sorgt nun dafür, dass im Zuge der Wechselwirkung des Photons mit dem Messgerät Letzteres in einen eindeutigen, stabilen Zustand gelangt, d.h. die Kugel rollt tatsächlich entweder nach rechts oder nach links – die Superposition aus beidem tritt nicht auf; viele angeblich bizarre Eigenschaften der Quantenmechanik wären demzufolge lediglich die Konsequenz unzulässiger Modellannahmen.

Im Gegensatz zu anderen Interpretationen der Quantenmechanik fordert Neumaier also dazu auf, für konkrete physikalische Systeme genügend präzise Modelle zu konstruieren und für diese zu zeigen, dass kein derartig bizarres Verhalten auftritt. Die Quantenmechanik wäre demzufolge eine recht gewöhnliche physikalische Theorie, das Messproblem lediglich ein gewöhnliches physikalisches Problem, es bestünde keine Notwendigkeit einer übergeordneten philosophischen Interpretation. Die o.g. stochastische Interpretation bliebe weiterhin zulässig, so wie auch die statistische Mechanik, wäre jedoch nicht zwingend sondern lediglich Konsequenz einer vereinfachten Betrachtung.
377 Ohm



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Beitrag 377 Ohm Verfasst am: 17. Jun 2024 11:03    Titel: Antworten mit Zitat

TomS hat Folgendes geschrieben:
Da hast du mich falsch verstanden.

Was dem einen als einzig gangbarer Weg erscheint, steckt für den anderen voller Widersprüche. Ich denke, die weitere Diskussion hat wenig Sinn. Let's agree to disagree. :-)
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
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Beitrag TomS Verfasst am: 17. Jun 2024 11:12    Titel: Antworten mit Zitat

Missverständnisse kann man klären.

Evtl. habe ich auch dich falsch verstanden, ich höre gerne zu.

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Beitrag Maddin01 Verfasst am: 17. Jun 2024 12:32    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Dass der Ort (und die Form) eines mikroskopischen Körpers sehr scharf definiert sind und auch bleiben, ist ziemlich gut verstanden. Dies ist im wesentlichen eine Konsequenz der Dekohärenz, wobei die kontinuierliche Wechselwirkung zwischen dem Körper sowie unbeobachtbaren Umgebungsfreiheitsgraden – Gasmoleküle, thermische Photonen, beide auch im Hochvakuum – für diese ständige Lokalisierung sorgen. Außerdem spielt natürlich die Bindung mikroskopischer Freiheitsgrade zu einen makroskopischen Körper eine Rolle, d.h. es ist energetisch günstiger, dass z.B. Atome gebunden bleiben und nicht spontan verdampfen.


Okay, dann habe ich wohl immer etwas falsch verstanden. Ich dachte, ein Elektron eines Atoms könnte auch mit einer sehr kleinen Wahrscheinlichkeit sich sehr weit weg vom Kern befinden. Deshalb dachte ich, dass womöglich, auch wenn sehr unwahrscheinlich, Körper bei wiederholter Beobachtung im schlimmsten Fall auf einmal an einem anderen Ort sein könnten. Dann habe ich das schon mal komplett falsch verstanden, oder?
Wenn also ein Körper lokalisiert wurde, bleibt er das auch, oder?
TomS
Moderator


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Beitrag TomS Verfasst am: 17. Jun 2024 14:54    Titel: Antworten mit Zitat

Sorry, ich habe das evtl. blöd formuliert.

"Sehr scharf" heißt nicht "exakt scharf".

Zumindest nach den gängigen Modellen und der Dekohärenz erhält man m.M.n. kein "exakt scharf" bzw. kein "vollständig ausgeschlossen" sondern immer nur ein "in extrem guter Näherung ausgeschlossen".

Man müsste zeigen können, dass z.B. bestimmte Wahrscheinlichkeiten wirklich exakt verschwinden, aber ich denke nicht, dass man das kann.

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Beitrag Maddin01 Verfasst am: 17. Jun 2024 15:23    Titel: Antworten mit Zitat

Ein in "extrem guter Näherung ausgeschlossen " ist doch such schon mal was. Das sollte doch dann die klassischen Eigenschaften erklären.
TomS
Moderator


Anmeldungsdatum: 20.03.2009
Beiträge: 18740

Beitrag TomS Verfasst am: 17. Jun 2024 16:02    Titel: Antworten mit Zitat

Das – zusammen mit der Thermal Interpretation – wäre der Abschluss einer fast einhundertjährigen Suche.

Edit – wie oben angemerkt ist die Zusammenführung von Quantentheorie und Gravitation noch ein ziemlich weißer Fleck, so dass sich da vieles ändern könnte.

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Beitrag Maddin01 Verfasst am: 18. Jun 2024 07:35    Titel: Antworten mit Zitat

Die Thermal Interpretation klingt doch wirklich sehr vielversprechend. Es bleibt spannend, wie sich die Sache weiter entwickeln wird.

Und falls man es irgendwann schafft, sie Gravitation mit in eine Theorie mit einzubinden: vielleicht verschwindet dann auch wieder die Unschärfe und die Werte werden exakt? Auch das bleibt spannend.

Denn wie gesagt: angenommen, ich beobachte einen makroskopischen Körper und beobachte ihn einen kurzen Augenblick erneut, worauf er auf einmal nicht mehr da ist (da alle Atome auf einmal delokalisiert sind). Sowas wurde garantiert noch nie beobachtet.
Und würde das nicht theoretisch auch der Chemie widersprechen? Es müssten ja alle Atombindungen quasi für diesen Augenblick verflüchtigt sein...und kann mein gedankliches Szenario so überhaupt theoretisch funktionieren? Oder verstehe ich dort auch schon etwas falsch? Oder bleibt ein makroskopischer Körper der ersten Messung stabil (mit Dekohärenzeffekten)?

Tut mir Leid für diese doch sehr laienhaften Bilder und Fragen, aber ich dachte, hier will ich nochmal nachhaken.
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